Ein Spiel fehlt noch, dann ist die Vorrunde in der Erstliga gespielt. Der TV Solothurn steht aktuell mit bescheidenen sechs Punkten in der Tabelle auf dem neunten Platz. In vielen Spielen fehlte nur wenig, und es hätten ebenso gut doppelt so viele Punkte werden können. Ein Aussen- und trotzdem Nahestehender macht sich auf Spurensuche nach den Ursachen, philosophiert über Geborgenheit im Teamsport und den Faktor Glück.
Gaudenz Oetterli
Sport ist Freude pur. Sport ist brutal. Es sind zwei diametral gegensätzliche Aussagen über ein und dieselbe Tätigkeit. Das Spezielle daran: beide Aussagen sind wahr. Und jede Athletin, die ihren Sport mit Leidenschaft ausführt, jeder Sportler, der Opfer bringt für sein Hobby oder seinen Beruf, würde dies bestätigen. Erreicht man seine Ziele, sieht man eine stete Verbesserung, ist man siegreich, dann gibt es nur wenig in der Emotionswelt, das dieses Gefühl des Erfolgs toppen kann.
Doch eine Medaille hat immer zwei Seiten. Auf der Kehrseite lauern grosse Gefahren wie das Versagen, Verletzungen oder Niederlagen. Es ist die Seite, die niemand sehen oder erleben möchte. Und dennoch zeigt sie sich allzu oft, diese dunkle Seite der Medaille. Denn: kompetitives Sporttreiben ist die Gratwanderung auf der Kante dieser Medaille, von der man nie vorher weiss, auf welche Seite sie fallen wird.
Durch Freude und Frust hin zu Freunden und Familie
Der Teamsport nimmt – im emotionalen Kontext - innerhalb aller Sportarten eine Sonderrolle ein. Egal, auf welche Seite die Medaille kippt, niemand fällt alleine. Es ist diese Gewissheit, die das Wesen des Teamsports ausmacht. Siege schmecken umso süsser, hat man sie gemeinsam erreicht, und die Freude darüber mit Mannschaftskollegen zu teilen, multipliziert das Glück.
Der Teamsport hat sogar die Macht, ansonsten felsenfest verankerte Prinzipien aus den Angeln zu heben. Nehmen wir als Beispiel dafür das Sprichwort «je höher der Aufstieg, desto tiefer der Fall». Eine unbestreitbare Tatsache, nicht nur rein physikalisch, sondern auch metaphysisch. Je angesehener jemand ist, desto tiefer ist der Fall, wenn sich diese Person etwas zu Schulden kommen lässt. Je inniger geliebt wurde und je höher der Liebesflug war, desto schmerzhafter die Enttäuschung, wenn es vorbei ist.
Nur wenig vermag – wie der Teamsport – den Aufstieg in noch höhere Gefilde anwachsen zu lassen, wenn es gut läuft. Und fast nichts kann auf der anderen Seite die Fallhöhe so massiv reduzieren, wie die Tatsache, dass man nicht alleine fällt. Nicht von ungefähr entstehen im Mannschaftssport Freundschaften, die über Dekaden anhalten, weit über die Zeit des gemeinsamen Sporttreibens hinaus. Freundschaften, die eine Geborgenheit bieten, wie man sie ansonsten fast nur in einer Familie findet. Dieser Fakt dürfte mitunter ein Grund dafür sein, dass viele Sportler – der Schreibende miteingeschlossen – ihrem Sport auch weit über die Aktivzeit hinaus verbunden bleiben und ihm nie den Rücken zukehren. Es liegt in der Natur des Menschen, so lange wie möglich am Guten festzuhalten.
Die Geborgenheit ist Segen und Fluch zugleich
Manchmal braucht es einen Schritt zurück, um wieder auf den richtigen Pfad zu gelangen. Das heisst nicht, dass der andere Weg ein falscher war. Gegebenheiten ändern sich mit der Zeit und eine Route, die zuvor sinnvoll war, führt in der veränderten Situation nicht mehr zum Ziel; oder man hat sich schlicht ein anderes Ziel gesetzt, das auf dem eingeschlagenen Weg nicht mehr zu erreichen ist. Mit dem Schritt zurück in die Erstliga hat der TV Solothurn einen neuen Weg eingeschlagen. Einen Weg, der die Ideale der Gemeinschaft und die Förderung des eigenen Nachwuchses an erste Stelle setzt. Der Verein soll als Ganzes wieder näher zusammenrücken, wie eine Familie halt. Bisweilen geht dies auch zu Lasten des sportlichen Erfolgs.
Es ist zu einem gewissen Teil sicherlich diesem Umstand geschuldet, dass der TVS sportlich in dieser Saison trotz des grossen Potenzials und der Fähigkeiten der einzelnen Spieler, seinen Ambitionen hinterherhinkt. Freundschaft und Geborgenheit innerhalb eines Teams fördern viele positive Effekte zu Tage. «Geschlossenheit», «jeder geht für jeden an seine Grenzen» und «gute Stimmung» sind nur ein paar Beispiele. Dieses Ziel hat der Verein erreicht.
Doch diese persönliche Nähe kann auch hemmen. Sie kann verleiten. Lieber nicht zu egoistisch sein und dem Freund nebenan noch einen Pass spielen, anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen. Und sie kann relativieren, denn eine Niederlage erscheint weniger tragisch, da sich alle persönlich nahestehen. Fehler sind schnell verziehen und werden oft nicht genug adressiert. Sport ist eine Gratwanderung auf der Kante einer Medaille mit zwei Seiten. Wenn ein Team von Freunden gemeinsam auf diesem Grat wandert, wird dieser umso schmaler.
Glück oder Pech liegen nur einen Münzwurf auseinander
Das Bild der Medaille mit den zwei Seiten bringt mich zur vermutlich ursprünglichsten Form des Glücksspiels, dem Münzwurf. Und damit zum Glück als solches. Nichts im Leben ist zu hundert Prozent planbar, geschweige denn vorhersehbar. Natürlich wollen wir unsere Spiele gewinnen. Aber der Wille allein reicht im Sport nicht aus, es braucht mehr. Für den Teil, den wir Menschen nicht planen können, und auch im Nachhinein nicht vollständig zu erklären vermögen, gibt es das Konzept von Glück und Pech. Aber kann man Glück erzwingen? Hat man Einfluss darauf, ob einem das Pech an den Händen klebt?
Vermutlich ist dies tatsächlich nicht möglich, denn ansonsten wären Glück und Pech plötzlich erklär- und beeinflussbar, was dem Wesen ihrer selbst zuwiderlaufen würde. Gehen wir also davon aus, dass sie somit dem unbestimmbaren Zufall unterliegen. Schon landen wir wieder beim Münzwurf und damit bei der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Kopf oder Zahl, auf lange Sicht beträgt die Wahrscheinlichkeit, ob das Eine oder das Andere eintrifft, bei ziemlich genau fünfzig Prozent. Gut, es besteht eine Wahrscheinlichkeit von 1:6000, dass das Ding hochkant stehen bleibt, aber diese weniger als 0,02-prozentige Chance kann statistisch vernachlässigt werden. Und auch die ganz kleine Relevanz, welche Seite der Münze vor dem Wurf oben liegt. Sprich, bei jedem Münzwurf besteht eine fifty-fifty-Chance auf Glück oder Pech und langfristig wird jede der beiden Seiten der Münze gleich oft gefallen sein.
Statistisch gesehen muss sich der Erfolg irgendwann einstellen
Der TV Solothurn hat in der Vorrunde und im Cup von 14 Spielen deren fünf relativ deutlich gewonnen, drei im Cup, zwei in der Meisterschaft. Fünf Spiele gingen klar zu Gunsten der Gegner aus. Alle diese Spiele lassen wir in diesem Gedankenexperiment aussen vor und konzentrieren uns auf die vier Partien mit ganz knappem Ausgang. Diejenigen Spiele, über die am Ende eben der Faktor Glück entschied.
Gegen GC/Amicitia Zürich im Cup (22:23), gegen Herzogenbuchsee (33:34) und WEST Crissier (32:33) in der Meisterschaft, war der TVS insgesamt drei Mal glücklos unterwegs. Einzig gegen Birsfelden (27:26) war das Quäntchen Glück den Aarestädtern hold und bescherte ihnen zwei Punkte. Einmal Glück, drei Mal Pech, dies dürfte schon rein aus Gründen der Wahrscheinlichkeit nicht vorkommen. Zumindest nicht langfristig. Aus diesem Grund zählen wir die vergangene Saison ebenfalls noch dazu. Schon damals gingen die knappen Glücksspiele mit 2:3 gegen den TV Solothurn aus. Im repräsentativen Zeitraum resultieren also drei glückliche Erfolge gegenüber sechs unglücklichen Niederlagen. Eine statistische Unmöglichkeit.
Von der negativen Seite der Medaille aus gesehen ist die Kehrseite positiv
Die Ambassadoren reisen dieses Wochenende an den Rhein. Die Partie gegen Möhlin/Magden ist die letzte Gelegenheit in diesem Jahr und in der Vorrunde, nach langen sechs Wochen der Niederlagen wieder Punkte einzufahren. Wird es ein enges Spiel, müsste Solothurn schon rein statistisch das Glück so langsam wieder auf seiner Seite haben.
Doch darauf sollte man sich auf Seiten des TVS nicht verlassen, oder besser gesagt sollte man es nicht soweit kommen lassen. Es gäbe nämlich auch eine andere Möglichkeit: die schöne Seite der Medaille. «Jeder geht für jeden bis an seine Grenzen», «Geschlossenheit» und «gute Stimmung», so wie es unter Freunden sein muss. Es gab genug Spiele, in denen man sich Fehler verzeihen und gemeinsam Niederlagen verarbeiten musste. Dass dieses Team auf der negativen Seite der Medaille zusammensteht, hat es zur Genüge bewiesen. Nun muss es endlich beweisen, dass es auch fähig ist, die Medaille wieder einmal ins Positive zu drehen.
Foto: Urs Trösch
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